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Auflegen mit Gewicht

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Zum Abschluss des 5. Norient Musikfilm Festivals am 11. Januar 2014 schmeisst DJ Marcelle/Another Nice Mess aus Amsterdam im Berner Frauenraum ihre drei Plattenspieler an und verquirlt Afrobeat, Avant Garde Techno, Cumbia, Drum 'n Bass, Dubstep, UK funky und experimentelle Sounds. Über ihre Mix-Utopien philosophiert Marcelle zuvor im Kurzfilm von Ben Mergelsberg. In ihrem Text geht‘s hingegen um ganz Alltägliches, z.B. wie viele ihrer 20.000 Platten mit auf Reisen dürfen und wie sie am besten verstaut werden.

DJ Marcelle mit Koffer und Waage vor ihrer Plattensammlung in ihrer Wohnung in Amsterdam (© Marcelle van Hoof)

DJ Marcelle mit Koffer und Waage vor ihrer Plattensammlung in ihrer Wohnung in Amsterdam (© Marcelle van Hoof)

Was braucht eine reisende DJ am häufigsten? Auf jeden Fall keine CD‘s, USB-Sticks, Serato-Software oder Laptops. Das ist klar. Denn schliesslich lässt man ja nicht nur aus Bequemlichkeit die Ästhetik zu Hause. Wenn man aufs Klo geht, sollte die Klobrille bequem sein. Auch eine gute Matratze ist sehr
bequem und wenn‘s draussen kalt ist, ist eine funktionierende Heizung bequemer als bequem. In der Kunst geht es aber um andere Dinge: Glaubwürdigkeit, Überzeugung, Mühe und speziell beim Auflegen auch noch um den besten Klang und ein bisschen was für die Augen – denn fast nichts ist langweiliger als ein DJ, der die ganze Zeit auf seinen Rechner guckt und vielleicht nebenbei seine Steuererklärung ausfüllt.

Aber nicht mal die Schallplatten sind das wichtigste. Für eine DJ auf Reisen geht einfach nichts ohne eine Waage. Denn ohne Waage wäre das Totalgewicht an Bass-Platten zu hoch und extra Gewichtskilos im Flugzeug sind nun einfach mal teuer. Klar, sie kann mehr von den dünngepressten, seltenen afrikanischen Scheiben in ihre DJ-Tasche packen und dafür einige der schweren Bässe zu Hause lassen. Aber auf dem Flugzeugsitz holt sie dann die Nervosität ein – wirft nicht das Personal diese Taschen meistens grob herum?

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Deshalb geht es beim Taschepacken um Kontext – genauso wie bei meinen Auftritten: Die dünngepressten afrikanischen Platten werden zwischen die
schweren Bässe gepackt. Dort sind sie nicht nur gut geschützt. In genau diesem Kontext werden sie auch im Club spannender klingen, hineingemischt in die Bassplatten.

Ich lege mit drei Plattenspielern auf und mache aus den simultan aufgelegten Platten eine Art live Improvisationskomposition. Das bedeutet dann mindestens 5,8 Kilo Vinyl netto an Insektenklängen, Glocken der DDR, Dadageschrei, Dampflockzügen, rituellem Acappella-Gesang, Yogaübungen und Herzschlägen.

Eine reisende DJ muss auch vernünftig auswählen – sehr empfehlenswert ist eine LP mit mehreren verwendbaren Stücken. Schneller in die Tasche gerät auch eine 12-inch, von der beide Seiten toll sind – eine White-Label one-sided 12-inch hat‘s da eher schwer. Oft sind solche Platten aber ganz speziell und darum trage ich die 180 Gramm extra mit grosser Freude. Eine 7-inch Single ist zudem besser als eine LP (um genau 100 Gramm) – und dass alle Aussenhüllen zu Hause bleiben spricht für sich.

dj-marcelle-another-nice-mess

Auch einiges an Hoffnung wird mit reingebracht. Und die wiegt genau 4,3 Kilo: Es ist das Gewicht meiner eigenen Platten und CD‘s zum Verkauf – hoffentlich sind diese Kilos auf dem Rückflug weniger geworden! Im Handgepäck halte ich dann immer noch einige Kilos frei für die tollen Sachen, die ich garantiert auf den lokalen Flohmärkten und in den lokalen Plattenläden finden werde.

Aufnahmegeräte, Tonabnehmer, Dekostücke wie Plastik-Blümchen oder farbige Lacktischdecken werden übrigens in Jacke, Hose, Schuhe oder notfalls im BH versteckt. Wenn die 20 Kilo (bei Billigfliegern) oder die 23 Kilo (bei den konventionellen Fluglinien) genau auf den Milligramm erreicht sind, kann der Flug bequem (!) beginnen. Mit allerhöchstem Dank an die Waage.

Wie man die so vernünftig eingepackte 23 Kilo in ein Ohne-Aufzug-Hotel hochträgt ist eine andere Geschichte.

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Mehr zu DJ Marcelle im Norient-Interview Ein Versuch von Freiheit
und im Interview von Michael-Franz Woels Jenseits der Grenzen und Klischees bei unseren Freunden von Skug.


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